Sonntag, Juli 15, 2007

Second Life

Ein zweites Leben, was für ein merkwürdiges Angebot. Aber in jedem Falle eine faszinierende Welt. Erstaunlich, wie die Menschen ihr Auftreten gestalten, wenn sie doch die Möglichkeit haben alles sein zu können (von einer Blume bis zur Phantasiegestalt). Erstaunlich, wie bedeutungslos das alles wirkt. Warum stehen Kleidung und Körpergestaltung nur so hoch im Kurs? Keine Frage, Denkblockade. Wir können nur sein, wie wir uns selber sehen. Da ist man kein Leibeigener mehr und wagt es nicht die Welt neu zu erfinden. Funny.

Eine ganz andere virtuelle Welt ist da doch die schizophräne Psychose meiner Mutter. Putzig, was sie erzählt, aber es wäre fatal sie nicht ernst zu nehmen. Spannend ist ihre Welt, stets von "denen" ist sie bedroht. Sie nennt sie Tschautschenkos Erben. "Die" fangen die Post ab. Zum Glück kennt die Krankenkasse alles von Ihr und hat einen Weg gefunden Ihr geheime Nachrichten zu übermitteln: das AOK Magazin. "Die" benutzten den Fernseher, um sie zu beobachten. Da ist sie inzwischen ziemlich sicher, früher konnte sie sich das nicht vorstellen, da hat sie sich noch gefragt: "Wie soll das denn gehen?" Aber sie hat ab und zu Grimasen vor dem Fernseher gezogen und tatsächlich haben die Leute im Fernsehen darauf reagiert. Da war eine Karnevalssitzung (dabei hatte der Karneval noch gar nicht angefangen) in der wurde ihre Wohnung beschrieben. Das haben auch die "Kölner" gesagt. Ja, die haben gleich gesagt "das ist sie doch!" Dabei kennen die sie gar nicht, aber der Papa habe ja mal da in der Nähe von Kerpen gearbeitet. Der Schornsteinfeger habe ihr von den Kerpenern erzählt... Stundenlang. Eine Assoziationskette nach der anderen. Wirr, aber für sie völlig konsistent. Es gibt viele Welten zu entdecken, jeder von uns lebt in seiner.

Ich weiß nicht, ob es nicht noch zu viel wird, meine Mutter bei mir leben zu lassen. Letztlich kann ich Ihr nicht wirklich helfen. Ihre letzten Tage sollten menschenwürdig verlaufen. Und dabei weigert sie sich zum Hausarzt zu gehen. Ich kann sie ja nicht zwingen, habe den Arzt dazu gebracht mir die nötigen Rezepte so zu geben. Sie konnte doch schlecht mit Diabetis unbehandelt bleiben. Situationen, wie ich sie hasse: was man tut oder nicht tut ist falsch. Ich bewundere die Haltung des Arztes: "Sie können halt niemanden zu seinem Glück zwingen". Gelassenheit ist im Moment sehr hilfreich, auch gegen die ständigen Vorwürfe und Beschuldigungen. Wie hat ein guter Freund neulich über das Leben gesagt: "Nichts zu gewinnen, Nichts zu verlieren". Wir wachsen jeden Tag.

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